Das Zeugnis für die Bundesregierung fällt kurz vor der Sommerpause miserabel aus. Aber: Sie hat in 18 Monaten mehr angestoßen, als die Merkel-Bündnisse in 16 Jahren.

Blöder hätte die letzte Parlamentswoche vor der Sommerpause für die Ampel kaum laufen können. Das Gebäudeenergiegesetz (GEG): Höchstrichterlich zurückgepfiffen! Das Thema also, das die innenpolitische Debatte in diesem Halbjahr dominiert hat, ist immer noch nicht gelöst, sondern wurde vom Bundesverfassungsgericht vorerst gestoppt. Auch wenn kaum jemand mehr das Wort Wärmepumpe hören kann, wird die Debatte darüber die deutsche Politik mindestens bis September beschäftigen.

Die Neuregelung zur Sterbehilfe: gescheitert. Keiner der Anträge fand vergangene Woche im Parlament eine Mehrheit. Unschönen Streit gab es innerhalb der Ampel außerdem über – kein Anspruch auf Vollständigkeit – die Kindergrundsicherung, das Elterngeld und den Haushalt ganz allgemein. “Maximal frustrierend” sei diese Juliwoche, klagt eine führende SPD-Politikerin, kurz bevor sie sich in die Sommerferien verabschiedet. Ja, schon das Beobachten dieser Politik war teilweise kaum auszuhalten.

Die Kommentarlage ist entsprechend eindeutig: “Totalschaden” (Bild). “Miserabel” (Tagesschau). “Diese Regierung ist ausgebrannt” (ZEIT ONLINE). Ampel-Fatigue, wohin man schaut. In den Umfragen haben die drei Regierungsparteien ihre gemeinsame Mehrheit längst verloren. Der CDU (und erst recht der AfD) gehen die Schmähsuperlative aus. Kurz: Die Regierung wird mit Schimpf und Schande in den Urlaub gejagt.

[…]

Die Ampel, so könnte man kurz vor der Halbzeit ihrer ersten (und womöglich letzten) Legislaturperiode sagen, erfüllt weder ihre eigenen Ansprüche noch die der Wählerschaft und Öffentlichkeit. Gäbe es jetzt Halbjahreszeugnisse, würde darunter stehen: Versetzung gefährdet. In vielen Bereichen: leider ungenügend.

Ganz gerecht ist diese negative Bewertung aber nicht. Die drei Parteien, die vorher noch nie auf Bundesebene zusammengearbeitet haben, waren extremen Bedingungen ausgesetzt. Schon der Start war hart, mitten im zweiten Corona-Winter. Kurz darauf begann Wladimir Putin seinen Angriffskrieg auf die Ukraine. Das waren unverschuldete, externe Herausforderungen, mit denen alle Regierungen auf der ganzen Welt zu kämpfen hatten. Die Ampel hat sie erstaunlich geschlossen bewältigt.

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  • Anekdoteles@feddit.de
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    1 year ago

    Angenehm unaufgeregter, sachlicher Beitrag, aber das wird die breite Öffentlilchkeit leider herzlich wenig interessieren. 20 Jahre Reformstau und dann 4 Jahre Allnighter-Stress, um das Ruder grade noch rumzureißen, ist einfach der Modus Operandi der deutschen Demokratie. Dass das langfristig kein gutes Modell ist, wird man so richtig erst merken, falls die Autoindustrie in den nächsten Jahren abbaut. Denn wie Börsianer wissen: Im Bullenmarkt kann jeder Gewinne machen. Wenn es hierzulande also nicht mehr aufwärts geht, dann werden genau die Konfliktlinien, die man so lange wegignoriert hat - alt-jung, reich-arm, Arbeit-Kapital, alteingesessen-zugezogen -, zu Bruchstellen werden.

  • aksdb@feddit.de
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    1 year ago

    Tja, dumm, dass Wahlen am Ende über den Ruf entschieden werden, und kaum über objektive Kriterien. Was auch volkswirtschaftlich völlig bescheuert ist, wo doch viele positive Effekte erst nach deutlich über 4 Jahren eintreten. Politiker sind also, wenn sie im Amt bleiben wollen, daran gehalten, kurzfristig gut dazustehen. Sehr blöd.

  • Geizeskrank@feddit.de
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    1 year ago

    Mir wurde letzte Woche das Argument entgegen geworfen: “Mit Merkel hätte es diesen Krieg nicht gegeben.”

      • onichama@feddit.de
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        1 year ago

        Ja und hat es da Krieg gegeben? Nein! Also alles tip top!

        /s aber ich kann mir vorstellen, das manche Leute wirklich so argumentieren

      • hh93@lemm.ee
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        1 year ago

        Wer hat noch gleich North Stream gegen die Warnungen aller Europäischen Nachbarn ausgebaut?

        Manchmal haben die Leute echt um jeden Preis eine rosarote Brille auf…

      • Geizeskrank@feddit.de
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        1 year ago

        Die Begründung war die gute Beziehung zwischen Putin und Merkel; sie hätte es wohl auf Grundlage der Wirtschaft gedingst und ihn überzeugt bla bla.

    • sebsch@discuss.tchncs.de
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      1 year ago

      Ich denke nicht dass das das Problem ist.

      Die deutsche Medienlandschaft ist schlicht stramm rechts und schreibt alles nieder, dass einer positiven Progression folgt.

      Das Problem ist der durchschnittliche Bildungsstand der Deutschen.

      • fedditurus_est@sh.itjust.works
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        1 year ago

        Das ist ein Aspekt. Ein anderer ist das schlechte Bild dass die internen Streitigkeiten vor allem zwischen FDP und Grünen abgeben. Gerade die FDP versucht in meinen Augen sich zu aller erst selbst zu profilieren.

        • sebsch@discuss.tchncs.de
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          1 year ago

          die FDP versucht in meinen Augen sich zu aller erst selbst zu profilieren.

          Und schafft das mithilfe der deutschen Presselandschaft. Gerade habeck bringt sehr gute Vorschläge auf den Tisch, benennt einfach zu ändernde co2 Quellen und migrationspfade davon weg. A. Springer verkürzt das ganze dann zu “Heizhammer”

          Es ist ein jammer. Wir haben in teilen die beste Regierung seit Jahrzehnten und der deutsche Michel lässt sich in die gierigen arme eines Merz treiben.

        • Cokeser@feddit.de
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          1 year ago

          Und genau das ist eine Leistung, die es zu feiern gilt! Bei allen Problemen dieser Regierung, muss man sich ernsthaft fragen: Wie wäre das bei Merz oder Laschet gewesen? Keine Regierung, auch diese hier, ist perfekt, aber dieses ständige Gebashe und Runterspielen von Leistungen, wie sie im Artikel beschrieben sind, geht mir sowas von auf den Geist.

          So befeuert man Politikverdrossenheit, so befeuert man populistische Ansichten und Parteien.

          • Macros@feddit.de
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            1 year ago

            Ich denke schon, dass man von Parteien erwarten kann ihre Versprechen zu halten. Sie haben die Mehrheit im Bundestag in Gemeinschaft, es gibt wenig was sie daran hindern würde sie umzusetzen, außer eventuell Finanzen. Dennoch ist wenig von dem umgesetzt auf was man sich im Koalitionsvertrag geeinigt hat. Gehen wir einfach mal durch was ein Artikel direkt nach dem Beschluss als Nennenswert herausgegriffen hat-

            • Kohleausstieg 2030? Nein aktuell nun 2038. Gerade 3 von 24 großen Braunkohlekraftwerken sollen in der Regierungszeit der Koalition abgeschaltet werden.
            • Deutschlandtakt? Verschoben auf 2070
            • Mit Gas soll 2040 Schluss sein? Es werden stattdessen neue Flüssiggasterminals gebaut.
            • Schuldenbremse einhalten? Grob verletzt, die Neuverschuldungen waren hoch.
            • Mindestlohn auf 12€ - Check.
            • Mehr Wohnungen? - Ganz klar verfehlt, es gab keine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr während davor eine recht konstante Steigerung da war.
            • Bürgergeld? Check.
            • Aktienrente? Nein
            • Einwanderungsgesetz reformieren? Jein. Ja es gab eine Reform, aber hauptsächlich nach Wirtschaftsgesichtspunkten. Von den im Vertrag besprochenen Punkten wie Aufenthaltserlaubnis auf Probe, allgemeine Beschleunigung der Asylverfahren, Familiennachzug findet sich nur wenig im Gesetz.
            • Bildungsausgaben steigern? Jein, die Steigerung gab es, sie fiel aber prozentual geringer aus als unter der Vorregierung
            • Forschungsdaten leichter zugänglich machen? - Nicht passiert
            • Wahlalter auf 16 senken? - Europawahl ja, Bundestagswahl nein.
            • Cannabis? - Eventuell, nach langer Pause ist hier Bewegung reingekommen.

            Ich bin auch froh, dass sich einiges gebessert hat. Andererseits habe ich tatsächlich höhere Ansprüche. Besonders an die zentralen Forderungen für die Parteien gewählt wurden, wie den Umweltschutz bei den Grünen. Es muss erlaubt sein hier Kritik zu üben, sonst ist Verbesserung nicht möglich. Und nicht jeder der das tut wählt dann gleich populistische Parteien, die machen das nicht besser und das ist Leuten die sich mit Politik auseinandersetzen auch klar. Dass bei vielem Versprochenen nicht einmal Anträge vorbereitet oder eingebracht wurden enttäuscht.

            Bei einigen Themen wie z.B. Chatkontrolle stellt die Regierung sich sogar ganz klar gegen die Punkte die sie ihren Wähler versprochen hat. “Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab” hieß es da noch im Koalitionsvertrag und alle 3 waren sich schon vor der Wahl einig.

            • DrM@feddit.de
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              1 year ago
              • Kohleausstieg 2030? Nein aktuell nun 2038. Gerade 3 von 24 großen Braunkohlekraftwerken sollen in der Regierungszeit der Koalition abgeschaltet werden.

              “Aktuell nun”? 2038 war schon immer geplant und es soll auf 2030 vorgezogen werden, was im rheinischen Revier beschlossene Sache ist und nur in der Lausitz noch auf Gegenwehr stößt.

              • Mit Gas soll 2040 Schluss sein? Es werden stattdessen neue Flüssiggasterminals gebaut.

              Die Flüssiggasterminals wurden unter dem Gesichtspunkt gebaut, dass sie als Wasserstoffterminals umfunktioniert werden können. Außerdem brauchen wir das Gas, um Kohlekraftwerke abzuschalten…

              • Schuldenbremse einhalten? Grob verletzt, die Neuverschuldungen waren hoch.

              Nach ewig langem rumringen hat Christian Lindner sich dazu durchgebracht, die Schuldenbremse 2022 auszusetzen, weil wir einen fucking Krieg in Europa haben und es ein wirtschaftliches Fiasko am Horizont gab, was dank dem Aussetzen der Schuldenbremse und den vielen Hilfspaketen der Regierung gerade noch so abgewendet wurde.

              • Deutschlandtakt? Verschoben auf 2070

              Das “Verschoben auf 2070” ist ne schöne Überschrift und hat sich dann auch gut verteilt, aber ist absoluter Bullshit. Die CDU/CSU hat immer kommuniziert, der Deutschlandtakt würde bis 2030 fertig sein und sich das groß auf die Stirn geschrieben. Die CxU hatte aber von Anfang an in ihrer Regierung das Ziel 2070, nicht 2030. 2030 sollten nur die ersten Etappen fertig sein. Die Ampel hat das ganze nochmal umgeplant und das neue Ziel ist 2048. Dazu gibts aber keine großen Artikel, das steht nur in Nebensätzen

          • Guildo@feddit.de
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            1 year ago

            Deine Ansprüche sind niedrig. Von Merz etc. will ich erst garnicht reden, klar hätten die das nicht besser gekonnt, aber ich feier auch keine Regierung, die keinen optimalen Job gemacht hat. Da ist noch genug Platz nach oben. Eine 2 ist höher als eine 1, keine Frage, aber da ist noch ganz viel Platz nach oben.

            • Cokeser@feddit.de
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              1 year ago

              Dann warte mal du auf deine optimale Regierung, die genau deinen Ansprüchen genügt. Dann werden alle glücklich sein…oder doch nicht? Vielleicht haben andere Leute andere Vorstellungen und Ansprüche und sind dann wieder nicht komplett zufrieden?

              Meine Ansprüche mögen anders sein als deine, aber ich habe 16 Jahre Stillstand mitbekommen und bin begeistert was auf manchen Gebieten bewegt wird, was sich getraut wird anzugehen. Das typische Dilemma einer Regierung, die regieren will: Man wird nicht allen gerecht…und wenn das immer und immer wieder hervorgehoben wird und man die Erfolge einfach nicht beachtet, ist das BILD-Niveau und befeuert die, die à la Merkel alles aussitzen. Und was meinst du denn, wen die Masse dann wählt? Deine perfekte Partei, die es nicht mal gibt, oder die Miesmacher, die sicher alles hätten besser gemacht? Die aktuellen Umfragewerte sollten einen Hinweis auf die Antwort geben - und du wirst es nicht hören wollen, aber die Miesmacherei, der vollkommene Fokus auf das Nicht-Perfekte drischt genau in dieselbe Kerbe und hilft, dass es in 2 Jahren schlimmer wird. Bedeutend schlimmer evtl. sogar.