Die Politik reagiert auf die ‘Wohnungsfrage’ reflexartig mit Zielmarken für den Neubau von Wohnungen. Im Idealfall würden dann gleichzeitig Bedarfe gedeckt und die Bauwirtschaft würde auch davon profitieren. Die Tatsache, dass die Ziele regelmäßig gerissen werden, überdeckt, dass eine viel grundsätzlichere Auseinandersetzung mit der Problematik notwendig und hilfreich wäre.

Ich greife für den Anfang einen Impuls von Daniel Furhop auf, von dem ich im letzten Jahr einen Vortrag angehört habe und dessen Buch Der unsichtbare Wohnraum. Wohnsuffizienz als Antwort auf Wohnraummangel, Klimakrise und Einsamkeit (2023) open access verfügbar ist.

Angesichts der Klimakrise fände er auch ein Erreichen der Neubauzahlen keinen Grund zum Feiern, zumal nicht alle gebauten Häuser aus allen Nähten platzen. So ist die Wohnfläche von 36,7 Quadratmetern pro Kopf im Jahr 1995 auf 47,4 Quadratmeter pro Kopf in 2020 gestiegen (S.18). Hinter dem rechnerischen Durchschnitt tut sich eine Schere auf. Gerade immer mehr Ältere - und 2035 wird es 4 Mio. mehr Menschen 65+ geben - leben allein oder zu zweit in Häusern, die für vielköpfige Familien ausgelegt waren, umgekehrt verhindern z. B. hohe Mieten den Umzug größer werdender Familien in größere Wohnungen oder sind aus anderen Gründen in einer Wohnung mehr Menschen als Zimmer vorhanden (sog. Crowding, S.21).

Wie in vielen anderen Bereichen ist hier also ein Mangel kombiniert mit einer stark ungleichen Verteilung. Furhop, der sich als ‘Wohnwendeökonom’ bezeichnet, konzentriert sich nun auf mögliche win-win-Situationen, will niemandem etwas wegnehmen oder streitig machen.

Als möglichen Richtwert für ‘viel Wohnraum’ verwenden Furhop und andere 80+ m² für Ein- bzw. 100+ m² für 2-Personen-Haushalte. Nach dem Zensus 2011 traf das damals bereits auf 4 bzw. 4, 8 Millionen Haushalte zu (s. S. 20). Die Überlegung ist nun, dass hier auch ‘unsichtbarer Wohnraum’ eingeschlossen ist. Bei diesem

“handelt es sich bereits um Wohnraum, es geht also weder um anders genutzte Flächen (wie Gewerbe) noch um bislang nicht genutzte Räume (etwa ausbaubare Dachgeschosse). Dieser Wohnraum wird jedoch nicht genutzt, womit kein Leerstand gemeint ist (im Sinne der Bezeichnung leerstehender Wohnungen, für die keine Einwohner amtlich gemeldet sind), sondern die Bewohner nutzen diese Räume nicht (wohl aber andere Räume). Dabei sagen die Bewohner selbst, dass sie diese Flächen nicht verwenden und nicht wünschen (oder nicht benötigen), sie sind also freiwillig offen für andere Möglichkeiten, den unsichtbaren Wohnraum nutzbar zu machen.” (81, Hervorhebungen im Original)

Ein paar Möglichkeiten, wie dieser Raum besser genutzt werden könnte:

  • Wohnen: Den Haushalt um Personen erweitern

  • Umbau: Einliegerwohnung abtrennen

  • Umzug: z.B. in Form eines Tausches. Teilweise gibt es schon Umzugsprämien, Furhop plädiert aber für umfassenderen Service durch öffentliche Hand. Eine Variante mit Neubaukomponente ist der Bremer Punkt: Unmittelbar neben Reihenhäusern gebaut, können hier ältere Bewohner*innen von dort in barrierefreie Wohnungen ziehen ohne ihre vertraute Umgebung zu verlassen.

  • Wohnshare / ‘Wohnen für Hilfe’: Vermittlung von Partnerschaften zwischen Generationen durch Vermittlungsstelle. Vertraglich geregelte stundenweise Hilfe z. B. mit Einkäufen oder im Garten für stark reduzierte Miete. In Deutschland dümpelt dieser Bereich herum, die Stadt Brüssel kommt damit auf 350 Vermittlungen pro Jahr (117). Stand heute behandeln Finanzämter so ein Verhältnis unterschiedlich (172). Im Idealfall haben die Generationen auch sozial etwas von dieser Partnerschaft.

  • Soziale Wohnraumvermittlung: Kommunale Stelle baut Hemmnisse zur Untervermietung ab durch Mietgarantie/Mietbegleitung/Zuschuss zu Renovierung.

Hauptpunkt ist ein beherztes Engagement der öffentlichen Hand, um zwischen sich ergänzenden Bedürnissen zu vermitteln. Das lohnt sich natürlich auch bei leerstehenden Wohnungen. Beim Programm “Wohnraumakquise durch Kooperation” der Stadt Karlsruhe erhält diese im Gegenzug etwa zu Renovierungszuschüssen Belegrecht für 10 Jahre. Sie spart Hotelkosten für die Unterbringung von Menschen, die ihre Wohnung verloren haben. Im Zeitraum 2018/19 wurden so fast 120 Wohnungen wieder belegt (S. 208).

Das Wort Wohnsuffizienz im Titel von Furhops Dissertation weist bereits daraufhin, das man bei den gegebenen Bedingungen nicht immer nur nach Neubau rufen kann und in “einer doppelten Kreislaufwirtschaft des Bauens und des Wohnen” (27) wie in anderen Bereichen auch sinnvoll mit dem Bestand arbeiten muss.

Natürlich können sich mit solchen Modellen nicht alle anfreunden, aber bei der Masse an gebautem Raum machte schon ein Bruchteil viel aus. Längerfristig könnten ja durchaus mehr Wohnbiographien so aussehen, dass eigene Bedürfnisse und Räume öfter aufeinander und mit denen anderer Menschen abgestimmt werden können.


“Raumteiler erklärt - auf schwäbisch” - Beispiel für den Versuch einer kommunalen Vermittlerrolle. In 2018/19 wurden 1.200 Menschen vermittelt (S. 208).

#Wohnen #Kreislaufwirtschaft